Die Ausbreitung des Corona Virus beschäftigt die Gesellschaft seit Wochen alle jeden Tag und mittlerweile sind auch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu fühlen. Wenn man noch durch die Straßen gehen darf, hört man kaum Gespräche abseits dieser Themaik. Und das ist verständlich. Eine solche Art von Pandemie gab es in unserer globalisierten Welt noch nie. Sie zeigt uns, wie schnell es gehen kann und wie wenig wir vorbereitet sind.
Als das Virus im Dezember 2019 erstmals in der Provinz Wuhan in China auftauchte dachte wahrscheinlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung: „Naja China ist weit weg und eben nicht Europa“. Doch das Virus interessiert sich nicht für Grenzen und so reiste es mitels unseren globalen Transferstrukturen in fast alle Bereiche der Welt und grub sich in seinen Auswirkungen bis in den letzten Winkel unseres Zusammenlebens vor. Europa, welches sich zunächst gut vorbereitet fühlte und in Sicherheit wägte, wurde schnell durch erste Fälle eines besseren belehrt. Europa wurde zum Zentrum der Ausbreitung, was vor allem an dem Umstand liegt, dass Europäer*innen priviligiert durch ihren Pass und des Wohlstands eines großen Teils von ihnen überall hinreisen können. Natürlich spielen auch global vernetzte Arbeitsstrukturen eine große Rolle.
Nun ist das Virus da und verbreitet sich schnell. Zunächst wurde sich als Reaktion auf die Nationalstaaten konzentriert. Grenzen wurden geschlossen, Maßnahmen in nationalstaatlichen Alleingängen entschieden und durchgeführt. Das Projekt Europa, Solidarität zwischen seinen Mitgliedsländern sowie auf der ganzen Welt wurden erst mal ad Acta gelegt.
Das Motto schien: Jede*r ist sich selbst am nächsten. Auch nach dem ersten Schock sehen wir, Solidarität hat seine Grenzen und diese Enden vor allem an nationalstaatlichen Bundesgrenzen (oder sogar an den Landesgrenzen) und lebenswichtige Materialien werden ungern mit den europäischen Nachbarstaaten geteilt. Es wird gehortet, Lieferungen abgefangen oder gestoppt.
Innerhalb der Grenze wird gleichzeitig propagiert: „Wir sitzen alle in einem Boot“. Das „Wir-Gefühl“ steigt und alle besinnen sich zurück auf den nationalen Zusammenhalt. Doch wer sind „Wir“ und sitzen „Wir“ wirklich in einem Boot oder gibt es nicht vielmehr kleine, rostige Kutter und große Luxusdampfer? Ganze zu schweigen von denjenigen, die neben dem Boot im Wasser treiben und ums überleben kämpfen oder bereits ihr Leben verloren haben.
Das Virus an sich kennt keine soziale Klasse, die Krise schon.
Als in den ersten Tagen der Begriff „Home-Office“ in aller Munde kreiste war klar: Diese Debatte wird geführt von Leuten, denen diese Art zu arbeiten möglich ist. Und das schließt die meisten prekären Jobs natürlich aus. Verkäufer*innen, Werksarbeiter*innen, Frisör*innen. Die überwiegende Anzahl an Tätigkeiten kann nicht von zuhause aus getätigt werden. Doch das war erstmal nicht Teil der Debatte. Erst später fiel auf, dass Arbeiter*innen am Fließband besonders gefährdet sind, da ein Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Doch die Jobs müssen weiter ausgeführt werden, alles für den Profit. Hier müssen wir einen Blick auf Automatisierung von Jobs werfen, welche versäumt wurde. Und warum wurde sie versäumt? Am Fehlen technischer Fähigkeiten liegt das nur in begrenztem Rahmen. Das Argument lautet, dass Arbeitsplätze gesichert werden sollen. Doch dahinter steht ein anderer Grund. Automatisierung lohnt sich nicht, da billige Arbeitskräfte, die man ordentlich ausbeuten kann profitabler sind. Wir könnten diese Krise alle besser überstehen, wären viele Jobs automatisiert. Dann wären die jetzt Ausführenden keinem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt. Natürlich müsste eine Automatisierung mit einer gerechten Verteilung von Ressourcen sowie der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens einhergehen.
Ein Grundeinkommen, mit dem man sein Leben bestreiten kann. Und da kommen wir zu einem nächsten Punkt. Viele Arbeiter*innen verlieren ihre Jobs oder werden in Kurzarbeit geschickt. Oder sie müssen aufgrund der Kinderbetreuung und unbezahlten Urlaubs auf Lohn verzichten. Damit wird es für viele Menschen schwierig, die ohnehin schwindelhaft hohen Mieten zu zahlen. Die Bundesregierung hat zwar beschlossen, dass in Zeiten der Krise keinem Mieter und keiner Mieterin aufgrund von Mietschulden gekündigt werden kann. Doch damit verschiebt sich das Problem nur nach hinten und verschleiert die echte Farce. Wohnen sollte nicht dem kapitalistischen Markt unterstehen. Was in Berlin bereits gefordert wird, nämlich die Vergesellschaftung von Wohnbaugesellschaften, muss nun vorangetrieben werden. Profitgenerierung sollte nicht durch Kommodifizierung von Grundbedürfnissen (in diesem Fall Wohnraum) von statten gehen. Nicht in der Krise und nicht nach der Krise.
Die Börse stürzte natürlich ein und die Medien vermittelten das Gefühl, dass dies uns alle betreffe. Die Nachrichten werden dominiert durch Meldungen über wirtschaftliche Rezensionen etc. Der Fokus ist das Kapital und nicht die Menschen. Uns kann erstmal egal sein, ob die Börse crasht, es gibt genug überlebenswichtige Ressourcen für alle. Das Problem heißt Spekulation und Kapitalismus.
Doch zurück zu den Arbeitsumständen. Nachdem alle Kindergärten und Kitas geschlossen wurden, rollte ein anderes Problem auf einen Großteil der Bevölkerung zu, nämlich die Betreuung. Auch hier sitzen wir nicht in einem Boot. Priviligierte Menschen, denen Homeoffice möglich ist, können zwar genervt sein durch ihre Kinder und eventuell leidet ihre Konzentration, aber es ist ihnen nicht unmöglich eine Kinderbetreuung sicherzustellen. Anders sieht dies bei gewöhnlichen Arbeiter*innen, bei denen beide Partner*innen auf ein Einkommen angewiesen sind oder mit Alleinerziehenden in prekären Arbeitsverhältnissen aus. Diese können auf unbezahlten Urlaub oder die Kulanz der Arbeitgeber*innen hoffen. Arbeitgeber*innen, die gerade im Homeoffice ihre Kinder betreuen. Auch wenn davon abgeraten wird, bringen immernoch viele verzweifelte Eltern ihre Kinder zu den Großeltern – einer Risikogruppe. Somit hat auch Ansteckungsgefahr eine soziale Klasse. Dass die Ansteckungsgefahr mit sozialer Klasse zu tun hat, sehen wir nicht nur in der Ausübung risikobelasteter Berufe. Auch die Mobilität ist ein Faktor. Während priviligierte Personen ein Auto zur Arbeit oder zur Erholung nehmen können, bleibt den ärmeren nur der öffentliche Nahverkehr. In denen die Ansteckungsgefahr natürlich höher ist, mal abgesehen, von den schlechtbezahlten Busfahrer*innen, Zugbegeleiter*innen etc. Geschäfte, bis auf Lebensmittelgeschäfte und Apotheken, sind mittlerweile geschlossen. Und wir sehen, wer noch arbeitet. Pfleger*innen, Verkäufer*innen, Busfahrer*innen, etc. Alles Jobs denen der Lohn kaum zum Leben ausreicht.
Momentan werden sehr viele deutsche Bürger*innen aus dem Ausland zurückgeholt. Und das ist gut so, wir sollten nur nicht übersehen, dass zeitgleich viele Menschen unbemerkt abgeschoben werden. Klamm und heimlich. Und auch was vor europäischen Grenzen abgeht, gerät aus dem Fokus. Geflüchtete in unmenschlichen Lagern, in denen von Hygienestandarts und Mindestabstand keine Rede sein kann, verharren in ihrem Schicksal. Und Europa schaut zu und Europa schaut weg.
Doch auch innerhalb der Grenzen gibt es Menschen, die besonders gefährdet sind. Wohnungslose Menschen, als illegal markierte Menschen oder Menschen, die in Flüchtlingsunterkünften oder in Heimen auf engem Raum leben. Eine besondere Ironie stellt auch das Jammern um fehlende Erntehelfer*innen dar. Es ist richtig, dass diese jetzt fehlen. Das liegt vor allem daran, dass Inländer*innen nicht für einen Hungerlohn arbeiten wollen, während Menschen aus anderen Ländern davon abhängig sind. Das Problem ist hier nicht, dass Erntehelfer*innen fehlen, sondern dass Arbeitskräfte fehlen, die kapitalistisch ausgebeutet werden. Das Problem ist die schlechte Bezahlung und nicht, dass es an tatkräftigen Händen fehlt. Und wieder heißt das Problem Kapitalismus.
Was wir auch sehen ist, dass das Gesundheitssystem überfordert es. Es mangelt an allem. Betten, Personal und Ausstattung. Natürlich hat niemand eine solche Pandemie kommen sehen und doch muss daran erinnert werden, dass der Zustand dem Kapitalismus geschuldet ist. Während wir also über 1 Millionen Varianten von Fernsehern oder Dekoartikeln haben, sieht es mit Betten für Intensivpatient*innen schlecht aus.
Und ein gemeinsames Applaudieren vom Balkon ist zwar nett gemeint, doch entschuldigt nicht das jahrelange Wählen neoliberaler Parteien und werden davon auch die fehlenden Arbeiter*innen weder ersetzt oder besser bezahlt.
Wir befinden uns in einer Zeit der Krise. Das ist klar. Und wir sollten zusammenhalten. Aber wir sollten auch nicht vergessen, dass die Krise soziale Ungleichheit kennt. Dass das Risiko einer Ansteckung Ungleichheit kennt und dass wir uns die Zeit nehmen sollten, darüber nachzudenken, was in unserem System falsch läuft. Das Problem heißt Kapitalismus, das Problem heißt nationale Identität. Die Abhängigkeit vom kapitalistischen System sorgt dafür, dass Arbeiten aufrecht erhalten werden, die nur dem Profit dienen. Kapitalismus sorgt dafür, dass wirtschaftliche Interessen und die Börse über dem Wohlergehen von Menschen stehen. Nationale Identität und Egoismus sorgen für geschlossene Grenzen, sorgen dafür dass Menschen vor unseren Grenzen sterben.
Also tut gerne so, als wären wir in einem Boot, doch denkt nach der Krise daran, dass es große Luxusdampfer gibt und kleine rostige Kutter!
Holen wir uns die Dampfer!
– Ellen Carius